Wir und unser krankes Konsumverhalten

Schon ein gewagter Titel. Aber wahr. Leider. Wenn wegen des Lockdowns nur das eingekauft wird, was wirklich nötig ist, und daraufhin die ganze Wirtschaft zusammenbricht, ist das Thema schon mal eine Überlegung wert.

Wusstet ihr, dass wir in Mitteleuropa im Durchschnitt 10.000 Dinge besitzen? Ich wiederhole: Wir Mitteleuropäer*innen besitzen durchschnittlich 10.000 Dinge. Brauchen wir das alles? Natürlich nicht. Aber sowas von ganz und gar nicht. Ich bin mir sicher, ihr könntet jetzt auf die Schnelle nicht einmal 100 davon aufzählen. Nein, also von brauchen kann da nicht die Rede sein. Es geht ja auch gut ohne. Früher, zum Beispiel. Als Dinge noch Qualität hatten und teurer wahren. Als die Wörter „reparieren“, „jahrelang behalten“ und „weitergeben“ noch Teil unseres Wortschatzes waren. Auch heutzutage gibt es einige, die viel weniger besitzen. Entweder aus Geldmangel, aus religiösen oder aus weltanschaulichen Gründen. Der Minimalismus als alternativer Lebensstil hat in den letzten Jahren einen Aufschwung sondergleichen erlebt. Auch einige Millionär*innen bekennen sich höchst zufrieden zum „Anti-Materialismus“. „Weil’s mich glücklich macht“, erklärt etwa der Schweizer Multimillionär Cédric Waldburger in einem (übrigens sehr sehenswerten) Interview mit Galileo. Viele Minimalist*innen berichten begeistert von dem Glück und der Freiheit, die ihnen diese materielle Ballasterleichterung doch bringe. Und selbstverständlich ist hier auch der Umweltgedanke einzubringen. Denn, klar, weniger Produkte heißt weniger CO2. Sicherlich haben Stressbefreiung, Entlastung und mehr Zeit auch starke positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Warum sind also nicht längst alle Minimalist*innen?

Kaufen macht glücklich. Zwar nur temporär, aber doch. Es regt das Belohnungszentrum im Gehirn an, ähnlich wie Sex oder Drogen. Und kann folglich auch wie diese süchtig machen. Kein Wunder, dass viele dieses gute Gefühl nutzen, um tolle Ereignisse zu zelebrieren oder sich in einer miserablen Gemütslage mit Frustshoppen aufzuheitern. Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum wir Menschen so kaufbegeistert sind. Vielleicht ist er sogar die Erklärung dafür, warum unser Gehirn überhaupt so positiv auf Konsum anspringt. Und der wurzelt in der Steinzeit. Als Engpässe die ständigen Begleiter der Menschen waren. Man jagte und sammelte, so viel man konnte. Hortete alles, was einem unter die Augen kam. Denn das war selbsterklärenderweise ein Vorteil. Mehr gleich besser. Auch wenn das im 21. Jahrhundert nun ganz anders und Engpässe die Ausnahme sind, so glauben doch einige Forscher*innen, dass unser Gehirn in dieser Hinsicht noch immer so tickt wie damals.

Und das macht sich unser Wirtschaftssystem gnadenlos zunutze. Die Werbung schafft es wunderbar, uns Bedürfnisse einzureden, die wir eigentlich nicht haben. Man kann uns ALLES andrehen. Und ordentlich damit verdienen. Dieser Umstand resultiert in der Tatsache, dass die Wirtschaft mittlerweile darauf basiert, dass wir viel Unnötiges kaufen. Schnell und billig muss alles gehen, Begriffe wie „Wegwerfkultur“ und „fast fashion“ etablieren sich.

Und dann kommt Corona. Und dann kommen die Lockdowns. Und auf einmal darf nur noch das offen haben, was nötig ist. Und deshalb schließt fast alles. Die Wirtschaft leidet stark. Ganze Branchen gehen ein. Corona führt uns vor Augen, wie absurd das ganze System ist. Schade, dass das die große Mehrheit nicht zu durchblicken scheint. Gefühlt wollen alle „zurück zur Normalität“. Dabei ist doch diese Pandemie DIE Chance, um die Normalität zu überdenken. In Klimafragen. In essenzielle-Jobs-besser-bezahlen-Fragen. In Zusammenhaltsfragen. Und eben auch unser vermaledeites Wirtschaftssystem.

Zum Glück wurde Weihnachten, und damit zumindest auch das Weihnachtsgeschäft, gerettet. Denn da schießt der Umsatz bekanntlich ja in die Höhe, ist Pi mal Daumen doppelt so hoch wie sonst. Irgendwas muss gekauft werden, ein materielles Geschenk für jede(n), die/den ich kenne. Was könnte Onkel Fritz denn noch brauchen? Puh, keine Ahnung. Nichts. Dieser Gel Finger- und Zehenschutz von Scholl sieht doch ganz nett aus. Was nehm‘ ich denn für die beste Freundin der Ex-Freundin meines Papas? Ich muss ihr irgendwas schenken, sie schenkt mir doch auch immer irgendwas. Ein Amazon-Gutschein wird’s.

Ich möchte euch zwei Regeln mitgeben:

Was du in den letzten 90 Tagen nicht verwendet hast und in den kommenden 90 Tagen nicht verwenden wirst, gib weg.

Bevor du etwas kaufst, stell dir genau vor, in welchen Situationen du es wie verwendest.

Was ihr damit macht, ist eure Sache.

Über den/die Autor*in

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