Grenzen des Journalismus – Tucker Carlsons Interview mit Putin

Wie viele schon mitbekommen haben, hat der bekannte US-Journalist Tucker Carlson ein Interview mit Präsident Putin in Moskau geführt. Zu diesem Interview gibt es viel zu sagen, es hagelte Kritik von der einen und Applaus von der anderen Seite. Das irritiert mich aber: Warum steht man nicht geschlossen gegen die russische Aggression ein? Woher kommt diese Lawine an Zuspruch für Carlson? Manchen Unterstützern zufolge müsse man Russland sogar gratulieren für die „mutige Entscheidung, sich vom Diktat der NATO zu befreien“. Ein brandgefährliches Narrativ, das im Interview wiederholt verwendet wird. 

Putin nimmt PR-Aktionen gerne an, nur müssen diese natürlich nach seinen Regeln stattfinden. Er ist geübt darin, mittels seiner exzellenten Rhetorik das Gespräch immer in seine Richtung, immer zu Gunsten seiner eigenen Person und dem Wohle Russlands zu lenken. Umso wichtiger wäre es, konkrete und kritische Fragen zu stellen, wenn man sich schon dazu entscheidet, ihn zu interviewen. Dies ist Carlson nicht gelungen, allerdings hatte er das vermutlich auch nicht vor. 

Sein Traum und der von vielen Trump-Anhänger:innen und Systemkritiker:innen ist der einer neuen Meinungsfreiheit. Eine Medienkultur, die endlich ideologiefrei und objektiv über wichtige Themen berichtet, ohne von einem Staatsapparat kontrolliert und eingeschränkt zu werden. Ironischerweise wäre eine solche Medienkultur das Ende der Meinungsfreiheit. 

Die neuen Bewegungen, die gegen alles sind, das vom System verkörpert wird, sind keineswegs besser darin, eine „objektive“ Medienlandschaft aufzubauen, da sie selbst viel zu oft komplexe Probleme in Schwarz und Weiß einteilen. Ein Narrativ einer „unzensierten Wahrheit“, durch die sich alle Zuschauer:innen ihre eigene Meinungen bilden können, ist Wunschdenken. Konsument:innen, die keinerlei Wissen über eine komplexe politische Thematik besitzen und sich auch keine anderen Berichte und Perspektiven zu diesem Krieg angesehen haben, laufen Gefahr die von Carlson und anderen „Beschützern der Meinungsfreiheit“ verbreiteten Narrative blind zu kopieren und sich von anderen Quellen immer weiter zu entfernen, bis sie nur noch einer einzigen vertrauen. 

Deshalb bleibt es essenziell Schwachstellen eines einseitigen und ideologiegesteuerten Journalismus aufzuzeigen und auch gegenzusteuern. Tucker Carlson ist kein Einzelfall. Das Vertrauen in die Medien des Landes hat schon länger einen traurigen Tiefpunkt erreicht. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik diesen Vertrauensschwund erkennt und an der Vertrauenswürdigkeit der Medien arbeitet. Ich bin der festen Überzeugung, dass keine Artillerie und kein schweres Geschütz über das Schicksal der Ukraine entscheiden werden, sondern die Medien des Landes. Im Krieg stirbt zuerst die Wahrheit, dann der Frieden.

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